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  • AutorenbildDr. Nicola Müllerschön

JE BESSER DIGITALE ANGEBOTE GEMACHT SIND, DESTO WENIGER ERSETZEN SIE DAS ANALOGE ERLEBNIS

Gespräch mit Dr. Robin Mishra, Leiter der Stabsstelle Kommunikation und Digitalisierung bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien


Foto: Linda Fittante


Herr Dr. Mishra, Sie leiten seit zwei Jahren die Stabsstelle Kommunikation und Digitalisierung bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Davor hatten Sie einen starken Fokus auf Wissenschaft und Forschung, Sie waren an der Deutschen Botschaft in Washington für den Bereich Wissenschaft und Technologie zuständig, davor waren Sie Sprecher des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. In Bezug auf Ihre Perspektive auf diese Bereiche – tickt die Kultur anders als die Wissenschaft?


Zwischen diesen beiden „Szenen“ sehe ich eine Reihe von Gemeinsamkeiten, aber auch bemerkenswerte Unterschiede. Zum Verbindenden: Kreative, Forscherinnen und Forscher eint ihr Ehrgeiz, in hoher geistiger Unabhängigkeit und zugleich mühevoller Kleinarbeit etwas Neues zu entdecken und zu schaffen. Als Unterschiede nehme ich wahr, dass Kulturakteure in die Gesellschaft hineinwirken wollen, während sich manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Kommunikation ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit noch schwertun.


Bei manchen Kulturakteuren gibt es eine Scheu, ihre Arbeit mit einem Geschäftsmodell zu verbinden.

Als weitere Differenz fällt mir auf: In der Wissenschaft ist die wirtschaftliche Verwertung, die Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen, aber auch die zunehmende Digitalisierung, ein wichtiges und – gerade in den USA – eher positiv besetztes Thema. Im Gegensatz gibt es bei manchen Kulturakteuren eine Scheu, ihre Arbeit mit einem Geschäftsmodell zu verbinden. Sicher erweist es sich gerade in diesen Zeiten als Segen, dass die öffentliche Hand Hauptfinanzier der Kultur in Deutschland sind. Es hat mich aber gewundert, dass selbst bekannte Künstlerinnen und Künstler während der Corona-Krise ihre Digitalangebote kostenlos ins Netz gestellt oder allenfalls um eine Spende für einen guten Zweck gebeten haben. Ich finde: Gute digitale Kulturangebote – ein Beispiel ist die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker - dürfen und sollten ihren Preis haben. Deshalb zielen die Hilfen für digitale Angebote im Rahmen unseres Corona-Hilfsprogramms NEUSTART KULTUR unter anderem darauf, Geschäftsmodelle zu etablieren.


Die Kulturinstitutionen sind einem halben Jahr im Pandemiemodus; digitale Strategien und Formate sind seitdem das allgegenwärtige Thema. Sie haben Digitalisierung von Anfang an ins Zentrum Ihrer Arbeit gerückt. Bevor wir über die aktuellen Fördermaßnahmen sprechen, würde mich Ihre Einschätzung interessieren, wie Sie vor der Pandemie das „digitale Bewusstsein“ in den Institutionen wahrgenommen haben.


Das Bewusstsein für die Bedeutung eines starken digitalen Auftritts und neuer Formen der Vermittlung ist vorhanden und in den letzten Wochen und Monaten sicher noch einmal deutlich gewachsen. Hinter dem Begriff „Digitalisierung“ verbergen sich aber vielschichtige Aufgaben, die von der Ausstattung von Einrichtungen mit Hardware, Software und WLAN über die Erfassung und Aufbereitung von Sammlungsbeständen bis hin zur Präsentation und Vermittlung reichen. Umso wichtiger sind digitale Strategien, an denen derzeit viele feilen.


Es geht gar nicht um die Alternative zwischen „analog oder digital“, sondern um eine gelungene Verbindung beider Ebenen.

Zuweilen klingt allerdings bei Institutionen noch immer die Sorge durch, die Betonung des Digitalen relativiere die Bedeutung des analogen Kulturgenusses, entziehe ihm gar den Boden. Das halte ich für einen Fehlschluss. Es geht gar nicht um die Alternative zwischen „analog oder digital“, sondern um eine gelungene Verbindung beider Ebenen. Die Zeit der Corona-Pandemie, als viele Kultureinrichtungen schließen oder ihr Angebot einschränken mussten und noch müssen, führt hoffentlich zu einem Bewusstseinswandel. Man kann nicht die Augen davor verschließen, dass jüngere Menschen andere Formen der Interaktion kennengelernt haben und diese auch von Kultureinrichtungen erwarten. Es geht dabei nicht etwa nur um „Games“-Elemente oder Virtual Reality. Völlig zurecht wird von Kultureinrichtungen Offenheit und Transparenz verlangt, zum Beispiel ein digitaler Einblick in ihre Objekte und deren Geschichte. Meine Überzeugung ist: Je besser digitale Angebote gemacht sind, desto weniger ersetzen sie das analoge Erlebnis. Im Gegenteil: Sie können die Schwellenangst senken oder überhaupt erst die Neugier wecken, ein Konzerthaus oder Museum zu besuchen.


Mit NEUSTART KULTUR hat die Bundesregierung ein milliardenschweres Rettungs- und Zukunftsprogramm für den Kultur- und Medienbereich aufgelegt, mit dem insbesondere auch digitale Angebote gefördert werden sollen. Eines der Programme wird über die Kulturstiftung des Bundes gesteuert – es heißt „dive in – Programm für digitale Interaktion“. Was verbirgt sich dahinter?


Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) fördert mit fünf Millionen Euro „dive in. Programm für digitale Interaktionen“ der Kulturstiftung des Bundes. Das Programm richtet sich an Akteure, die schon digitale Erfolge vorzuweisen haben und diese Kompetenzen ausbauen wollen. Es ist spartenoffen, gilt also beispielsweise für Gedenkstätten und Soziokulturelle Zentren, Bibliotheken und Archive, Museen und Festivals. Gefördert werden digitale Projekte, die neue Formen der Wissensvermittlung und künstlerischen Auseinandersetzung, der spielerischen Aneignung oder der Partizipation mit Besucherinnen und Besuchern erproben. Förderanträge können seit dem 17. August gestellt werden. Einsendeschluss war der 30. September. Das Programm hat große Resonanz gezeigt, trifft also offenbar einen Nerv.


Es besteht für den Kulturbereich die Chance, im Bereich Digitalisierung stärker aus der Krise herauszukommen als er hineingegangen ist.

Für kleinere, auch ehrenamtlich geführte Kultureinrichtungen haben die BKM und die Kulturstiftung der Länder das Programm KULTUR.GEMEINSCHAFTEN ins Leben gerufen, das mit insgesamt elf Millionen Euro ausgestattet ist. Konkret sollen sie zum Beispiel bei der Anschaffung der notwendigen Technik zur Produktion digitaler Formate unterstützt werden. Die beantragten Projekte können verschiedene Facetten haben: Wissenstransfer und Vernetzung der Einrichtungen, Verbreitung der entstandenen Produktionen im Internet und in Sozialen Medien, Beratungs-, Schulungs- und Weiterbildungsangebote. Anträge können seit dem 15. September gestellt werden.

Damit haben wir zwei Bausteine entwickelt, die gut zusammenpassen und den Corona-bedingten Digitalisierungsschub der Kulturbranche unterstützen sollen. Denn es besteht – wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters sagt – für den Kulturbereich die Chance, im Bereich Digitalisierung stärker aus der Krise herauszukommen als er hineingegangen ist.


Projektbezogene Fördermittel haben immer eine begrenzte Laufzeit. Wie kann vermieden werden, dass aus einem geförderten Digitalprojekt kein „opportunistisches Strohfeuer“ wird, sondern eine langfristige Wirkung entfalten kann?


Viele Kultureinrichtungen bekommen ja eine Grundfinanzierung, aus der Digitalisierungsaufgaben bezahlt werden; es ist also nicht so, dass es nur Projektmittel gäbe. Natürlich achten wir bei der Förderung darauf, dass möglichst tragfähige und nachhaltige Strukturen aufgebaut werden. In einem so dynamischen Bereich wie der Digitalisierung hat Projektförderung aber durchaus ihre Berechtigung. Ein Projekt kann am Anfang eines Kompetenzaufbaus stehen. Aus ihm entstehen vielleicht Folgeprojekte, neue Stellen, vielleicht sogar eine neue Struktur. Sehr innovative Projekte können Möglichkeiten auszuloten und gucken, was funktioniert. Das ist zum Beispiel im von der BKM geförderten Programm museum4punkt0 so, bei dem die beteiligten Häuser an anspruchsvollen Ideen arbeiten, die im Idealfall der ganzen Sparte einen Anstoß geben. Häufig geben Projekte überhaupt erst den Anreiz zur Vernetzung, bringen also mehrere Akteure zusammen, die bisher lieber ihr eigenes Ding gemacht haben.


Wenn über Digitalisierung im Kulturbereich gesprochen wird, denkt man zuerst an technologische Infrastruktur, an Tools und Formate – nicht jedoch an die digitale Kompetenz der handelnden Akteure. Ist diese Haltung und Bereitschaft, digital zu denken, nicht noch viel wichtiger?


Das ist ein wichtiger Punkt. Die Digitalkompetenz oder zumindest -offenheit der Akteure ist ein Schlüssel zum Erfolg. Das ist nach meiner Wahrnehmung nicht nur eine Altersfrage, sondern meint die Lust, sich auf Veränderungen einzulassen, die überkommene Hierarchien in Frage stellen können. Wichtig ist dabei, auch internationale Entwicklungen im Blick zu haben. Dafür braucht es noch mehr Aus- und Fortbildungsangebote, wie sie zum Beispiel in der Dortmunder Akademie für Theater und Digitalität entwickelt werden.


Auch die Organigramme und Entscheidungswege der Kultureinrichtungen müssen sich verändern.

Digitalkompetenz ist aber nicht nur eine Anforderung bei der Rekrutierung und Qualifizierung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es klingt trocken, aber auch die Organigramme und Entscheidungswege der Kultureinrichtungen müssen sich verändern. Die Einführung einer Querschnittszuständigkeit in unserem Haus ist dafür ebenso ein Beispiel wie die neue Position eines Chief Information Officer bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder die Funktion einer Digitaldirektorin bei der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der Zugang zu Kultur und Wissen wandelt sich grundlegend. Die digitale Beschleunigung verlangt allen Beteiligten sehr viel ab. Aber wir können sagen: Wir sind dabei gewesen!


Dr. Robin Mishra ist Leiter der Stabsstelle Kommunikation und Digitalisierung bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Er gibt hier seine persönliche Meinung wieder.

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