Wie führt man das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland? Ich spreche mit Johannes Ebert, dem Generalsekretär des Goethe-Instituts, über Digitalstrategien, den Umgang mit zunehmender Regulatorik und die Notwendigkeit zu kommunizieren – und zuzuhören.
Bildquelle: Goethe-Institut e.V., Foto: Martin Ebert
Herr Ebert, schaut man heute – in Zeiten von Corona – auf die Website des Goethe-Instituts, fällt die Vielfalt der digitalen Formate auf. Ist die Pandemie ein Schub für die Digitalisierung im Kulturbetrieb?
Sie können nicht aus dem Stand ein Digitalportfolio entwickeln. Wir konnten einerseits sehr schnell Angebote bündeln, die wir ohnehin haben, und andererseits neue Formate auf den Weg bringen, die direkt auf die Krise reagieren. Wir haben 2012/13 eine erste Digitalstrategie aufgesetzt, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwas strategischer für die Digitalisierung zu sensibilisieren. Das war noch sehr offen. Vor etwa zwei Jahren haben wir eine neue digitale Strategie begonnen, die sehr konkret verschiedene Arbeitsfelder absteckt und Maßnahmen in unseren verschiedenen Arbeitsbereichen beinhaltet – von der Personalabteilung über die IT bis hin zu den Sprachkursen. Gerade da setzen wir sehr stark auf digitale Formate. Meine Erfahrung ist, dass man besonders innovative digitale Angebote sehr schnell umsetzen kann, wenn es die Präsenz dieser digitalen Einstellung in der Institution gibt.
"Ich glaube, dass es einen Geist in der Institution braucht, der Digitalisierung vorantreibt."
Wie erreicht man diese digitale Einstellung?
Ich glaube, dass es einen Geist in der Institution braucht, der Digitalisierung, digitale Zusammenarbeit und digitale Führung vorantreibt. Das braucht aus meiner Sicht sehr viel Zeit, aber insgesamt haben wir erreicht, dass dieser Geist da ist. Es ist wichtig, dass die Führung einer Institution diese Haltung zur eigenen Sache macht.
Sie blicken auf fast 30 Jahre „Betriebszugehörigkeit” beim Goethe-Institut zurück. Sie leiteten Institute weltweit und hatten regionale Verantwortung, zuletzt für Osteuropa/Zentralasien. Als Sie vor acht Jahren Generalsekretär wurden – war das der nächste logische Schritt?
Es gibt im Goethe-Institut keine lineare Karriere. Man bekommt nicht automatisch den nächsten Posten. Das ist von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängig. Aber wenn man über eine Grunddisposition als Führungspersönlichkeit verfügt, lernt man beim Goethe-Institut extrem viel.
Was meinen Sie mit Grunddisposition?
Wenn man gerne Verantwortung übernimmt, wenn man gerne mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammenarbeitet, wenn man ihnen gegenüber empathisch ist, aber doch die notwendige Distanz hat, um Entscheidungen letztlich frei treffen zu können. Nicht zuletzt lernt man im Goethe-Institut interkulturellen Umgang mit Führung. Das nehmen wir als normal wahr, ist aber doch eine besondere Fähigkeit und Fertigkeit.
Wie gut fühlten Sie sich auf die Rolle als Generalsekretär und Sprecher des Vorstands vorbereitet? Was waren die größten Herausforderungen?
Ich war natürlich extrem gut vertraut mit den internen Prozessen, mit allen Schwächen und Stärken. Was ich lernen musste und was neu für mich war, war die Frage des Umgangs mit der Politik. Als Generalsekretär des Goethe-Instituts haben Sie auch die Funktion, mit Vertretern des Bundestages und der Ministerien auf hoher Ebene zu kommunizieren, gemeinsam Pläne zu schmieden, aber auch Interessen richtig zu platzieren. Das ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Wenn ich darüber nachdenke, was ich im Vorfeld hätte tun sollen: Zwei Monate vor Stellenantritt hätte ich mich systematisch mit Rechts- und Haftungsfragen, mit vertragsrechtlichen Grundlagen von Unternehmensrecht und Vereinsrecht bis hin zu der Funktion von Organen befassen sollen. So lernte ich das auf dem Weg dorthin – hatte aber auch immer sehr gute kaufmännische Direktoren an meiner Seite.
Eine weitere Herausforderung ist der Übergang vom Operativen ins Strategische. Ich glaube, dem ist jeder ausgesetzt, der von einer operativen Arbeit in eine strategische Führungsposition wechselt. Ich habe einige Zeit gebraucht, mir den operativen Reflex bewusst zu verbieten, mich nicht einzumischen und die Verantwortung an diejenigen zu übergeben, die das jetzt machen sollen. Da braucht man am Anfang eine Kontrolle von außen. Ich glaube, ich habe das geschafft, obwohl wahrscheinlich der Mythos immer noch besteht, ich würde mich operativ einmischen. (lacht)
Was oder wer hat Ihnen dabei geholfen?
Ich hatte einen Coach und habe immer wieder Fortbildungen gemacht, leider nicht so viele, wie ich gerne machen würde. Ich halte das für wichtig, denn man kann sich nicht aus eigener Kraft ständig korrigieren. Der Blick von außen hilft dabei.
Wie stark haben sich Ihre Rolle und Position im Laufe der Jahre verändert? Ist es noch der gleiche Job?
Ich glaube, es ist schon noch der gleiche Job. Was ich feststelle, ist eine zunehmende Verrechtlichung und eine Zunahme von Auflagen und Compliance. Außerdem habe ich gelernt, alles zu dokumentieren, gerade, wenn man schwierige und risikobehaftete Entscheidungen trifft. Sie können als Vorstand nie hundertprozentig sicher sein, dass ihre Entscheidung richtig ist. Daher sollte man immer darstellen, warum man in jenem Moment jene Entscheidung getroffen hat, so dass sie auch in drei oder fünf Jahren noch nachvollziehbar ist.
"Wichtig ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen."
Welche Führungskompetenzen sind für Sie die wichtigsten?
Das ist gar nicht so einfach zu sagen. Wichtig ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Und man muss zuhören können, die anderen hören und dann in einer Vielzahl von Stimmen gemeinsam zu einer Entscheidung kommen. Für eine weltweite Institution zu sagen, so wird’s jetzt gemacht, funktioniert nicht. Sie müssen sehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Entscheidung muss sich aus einer Diskussion mit der zweiten Führungsebene unter Abwägung von Argumenten entwickeln, zum Teil auch bereichert durch Gutachten und Expertenmeinungen. Eine Entscheidung muss so sein, dass sie von der Institution mitgetragen wird, sonst haben Sie aus meiner Sicht keine Chance. Es muss sehr viel über Kommunikation nachgedacht werden. Die Entscheidung an sich garantiert nicht, dass die Dinge dann wirklich gemacht werden. Ich glaube, dass eine Führungskraft sehr gut und sehr viel kommunizieren muss, um wirklich die Leute mitzunehmen.
"Stand früher die Fachkompetenz, also vor allem das Fachwissen Kultur und Sprache im Vordergrund, liegt nun ein Schwerpunkt auf dem „Managen“ eines Instituts."
Was tut das Goethe-Institut für die Entwicklung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für die Führungskräfte von morgen?
Wir haben ein Assessment-System, bei dem man sich auf verschiedene Laufbahnen bewerben kann: auf die Kultur- und Leitungslaufbahn, die Sprachlaufbahn, die Informationslaufbahn und die kaufmännische Laufbahn. Das ermöglicht auch internen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, innerhalb der Institution andere Positionen einzunehmen und Führungsverantwortung zu übernehmen. Hier ist der Ansatz, Kolleginnen und Kollegen in ihren Stärken weiter zu fördern und mit Fortbildungen zu unterstützen, vorausschauend auf die Übernahme von zukünftigen Führungspositionen. Außerdem haben wir ein 360°-Beurteilungssystem, durch das wir alle fünf bis sechs Jahre unsere Führungskräfte evaluieren lassen. Wir sehen dies als Personalentwicklungsinstrument, um den Kolleginnen und Kollegen in Bereichen Unterstützung zu gewähren, in denen ihre Performance Entwicklungsbedarf zeigt. Dazu modernisieren wir gerade das Kompetenzmodell des Goethe-Instituts, um aktuellen Forderungen nach anderer und qualitativ noch besserer Führung zu entsprechen.
Die Anforderungen an unsere Führungskräfte haben sich in den letzten 20 Jahren stark geändert. Stand früher die Fachkompetenz, also vor allem das Fachwissen Kultur und Sprache im Vordergrund, liegt nun ein Schwerpunkt auf dem „Managen“ eines Instituts. Neben der inhaltlichen Kompetenz muss eine Führungskraft heute noch mehr als früher mit Themen wie Finanzen, Recht und Personal vertraut sein. Auch heute bekommen wir genügend Bewerberinnen und Bewerber mit hervorragendem Fachwissen. In der Personalentwicklung müssen wir dann bei den bereits genannten Themen ansetzen und dem Thema „Führung und führen“ besondere Bedeutung beimessen. Neben der Digitalisierung sehe ich den Schwerpunkt der Personalentwicklung des Goethe-Instituts genau dort.
Herr Ebert, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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